2018 feierten wir beim Crossing Europe in Linz unsere Festival-Premiere, heuer gehen wir nach einer Pause voll diebischer Freude in die vierte Runde - und stellen dem marxistischen Computerspiel-Essay „Hardly Working” einen Überraschungsfilm gegenüber, der das Sprichwort „Zeit ist Geld“ wörtlich nimmt.
In "Lola rennt" rennt Lola alias Franka Potente mit der Zeit um die Wette. Es geht, wie so oft um Geld. Für ihren Freund Manny muss die Tochter eines Bankdirektors eine Summe besorgen, sonst hat er Gangster am Hals. Tom Tykwer inszeniert seinen Kultfilm in verschiedenen Möglichkeitsszenarien, die nur durch den Zufall unterschiedlich verlaufen. Seine Figuren wirken dabei wie die Objekte einer Studie, Lola wie der Hamster im Rad, der sich wacker durch das Berlin der beginnenden 2000er Jahre bewegt. "Hardly Working" überlässt nichts den Zufall. Der Kurzfilm der Medienguerilla Total Refusal setzt ganz auf Beobachtung. Nicht die Handelnden, sondern die Randfiguren im Spiel Red Death Redemption stehen im Fokus. Welche Leben führen Non-Player Characters? Warum arbeiten sie pausenlos und weshalb sehen sie nie die Früchte ihrer Arbeit? Welches Potential bilden schließlich die kleinen Stolperer in der der hyperrealistischen PC-Game-Szenerie? Die Glitches, die Arbeitsroutinen für einen kurzen Zeitpunkt unterbrechen und die NPCs kurzzeitig in eine andere Dimension heben - so wie es Tykwer auch mit seinem Gangster-Pärchen Manny und Lola versucht.
Credits: Lemonade Films/x-Filmverleih
Bereits zum dritten Mal setzt Diskollektiv auf dem Crossing Europe Filmfestival mit seinem TROUBLE FEATURES-Doppelprogramm auf produktive Dissonanz unterschiedlicher Weltbilder und Bilderwelten. Diesmal wird ein aktueller syrisch-libanesischer Film mit einem Film aus dem Fundus der europäischen Filmgeschichte kombiniert.
“The image is the last line of defence against time“, heißt es im ersten Beitrag, Still Recording von Saeed Al Batal und Ghiath Ayoub. Zwischen 2011 und 2015 brachen die beiden regelmäßig in die Rebellenhochburg Ost-Ghuta in Syrien auf, um zusammen mit sechs weiteren Videographen den Alltag der Kämpfenden und der Zivilbevölkerung zu dokumentieren. Ihr Fronteinsatz zur Produktion archivierbarer Bilder ist zugleich politischer Akt, Aufruf zum Gedenken und Widerstand, Beweismittelführung und kritische Medienreflexion. Ein zwischen Trümmern entstandener Bilderstrom aus Fragmenten, der jenem der hiesigen Fernseh- und Dokutainment-Berichterstattung zuwiderläuft.
Mit Peter Watkins Culloden (1964) trifft Still Recording auf einen Gegenspieler aus dem Pool der europäischen Filmgeschichte. Das letzte Wort hatte auch diesmal nicht der Abspann sondern ein sehr zähes Publikum, das für eine anschließende experimentelle Diskussion vor unbespielter Leinwand blieb.
"Was tun?" Filmstills aus DER LANGE SOMMER DER THEORIE und DIE VIER GESELLEN
Das zweite TROUBLE FEATURE im Rahmen des CROSSING EUROPE FILMFESTIVALS ließ diesmal sehr verschiedene Weltbilder und Bilderwelten aufeinanderprallen: Der formalistisch verspielte Beitrag aus der Panorama-Sektion des Festivals Der lange Sommer der Theorie (R.: Irene von Alberti, D 2017) wurde mit den äußerst kontroversiellen Gegenspielerinnen aus Carl Froelichs Die Vier Gesellen (D 1938 !) konfrontiert. Eigentlich sind es vier Gesellinnen, die 1938 eine Grafikdesign-Firma gründen, um auf dem patriachalen Arbeitsmarkt im Berlin 1938 bestehen zu können. Dabei kommen emanzipatorische Themen, wie Solidarität unter Frauen und das gemeinsame Schaffen besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen zum Zuge, die aber schlussendlich in einer Heiratstirade enden, die jeder der Gesellinnen ihren rechten Platz in der Volksgemeinschaft zuweist. Der Film ist vor allem wegen Ingrid Bergmann erhalten, die vor ihrem Durchbruch in Hollywood einen Vertrag mit der UfA einging (der sich aber nach diesem Film auflöste). Mehr dazu hier !
Die anschließende Diskussion unter Anwesenheit der Regisseurin Irene von Alberti warf Schlaglichter auf Feminismus, Propaganda, Arbeitsverhältnisse, Künstlerinnen-WGs und die von Lenin geprägte Frage: "Was tun?"
Danke an Irene von Alberti, alle Mitdiskutant*innen und das Team des CROSSING EUROPE FILMFESTIVALS !
Die TROUBLE FEATURE-Gastveranstaltung am Crossing Europe '17 kombinierte einen Film aus der Panorama-Sektion des Festivals mit einem Überraschungsfilm im Rahmen eines DOUBLE-Screenings mit dem Ziel, das Publikum dem Unbekannten, Unerwarteten und Unvorhersehbaren auszusetzen.
Die rege Diskussion im Anschluss drehte sich um abgeschiedene Kommunen, Rassismen, Nationalismen, den Brexit, Polen und filmästhetische Fragen wie: Kult-Klassiker vs. Erstlingsfilm.
BURN ! BURN ! BURN !
Knives Out
Polen 2016, 90 Min.
R: Przemyslaw Wojcieszek
Knives Out operiert im Angriffsmodus und ist in der Wahl seiner Waffen ebenso wuchtig wie konsequent. Eine Gruppe polnischer Mittzwanziger trifft sich in einer klaren Herbstnacht auf einem abgeschiedenen Grundstück. Durch die Anwesenheit eines unerwünschten Gastes brechen die ideologischen Konflikte der post-kommunistischen Generation auf. Berauscht vom Alkohol und der eigenen Größe, befeuert durch immer feindseligere Worte und Taten, steuert die Zusammenkunft der Freunde in die Eskalation: die Jagt des Gastes.
The Wicker Man
Großbritannien 1973, 88 Min.
R: Robin Hardy
Der Polizist Sergeant Howie fliegt auf eine abgelegene schottische Insel, die aufgrund ihres angenehmen Klimas Summerisle genannt wird, um das Verschwinden eines jungen Mädchens aufzuklären. Neben Flora und Fauna sprießen allerdings auch frivole Verhaltensweisen unter dem Deckmantel eines paganistischen Kultes, was dem strenggläubigen Christen Howie übel aufstößt. Moralisch vom eigenen Glauben bestärkt widersteht er allen Versuchungen und entdeckt bei seinen Recherchen Anzeichen, die auf einen Opferkult hinweisen. Am 1. Mai, dem Tag des Opfers, verkleidet sich Howie als Narr, um an der festlichen Prozession teilzunehmen und das Mädchen zu retten. Doch der Eindringling entpuppt sich als Lockobjekt: am Ende siegt "The Wicker Man".